Die Premier Cycle Company Ltd. in Coventry, Eger (Cheb) und Nürnberg

Mit einem Exkurs zum sog. Helical-Rohr

Emailschild mit Werbung für Premier
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Die Premier Cycle Co. Ltd., 1891 hervorge-gangen aus Hilman, Herbert & Cooper, hatte ihren Firmensitz in Coventry in Zentral-England (West Midlands). Premier mit seinen Vorgängern gehörte damit zu den ältesten namhaften Fahrradproduzenten der Welt und stieg in den 1890er Jahren zu einem der weltweit größten Hersteller auf.

 

Bereits 1893 gründete Premier Zweigwerke in Nürnberg-Doos und Eger in Böhmen (tschechisch Cheb), um den kontinentalen Markt besser bedienen zu können. Die Pro- duktionsstätte in Nürnberg wurde allerdings schon 1913 wieder geschlossen, die Fahrrad- und später auch Motorradherstellung in Eger lief dagegen weiter bis in die 1930er Jahre.

Amerikanische Werbeanzeige von Premier
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Bekannt wurde Premier u.a. durch eine spezielle Entwicklung, die auf den Namen 'Helical' hörte. Damit wurde eine Technik bezeichnet, auf die Premier ein Patent be- saß: die Herstellung von Rohren für Fahrrad-rahmen aus gewickelten Blechen in Form einer zylindrischen Spirale (Helix).

 

Diese interessante Technik wurde als Ge- genstück zu den nahtlos gezogenen Rohren entwickelt, die die Firma Mannesmann seit 1885 herzustellen in der Lage war (sog. 'Mannesmannrohr').

Da es bei den Rohren für Fahrradrahmen vor allem auf zwei Dinge ankommt, nämlich die Stabilität und das Gewicht, waren die nahtlos gezogenen Rohre den bis zu diesem Zeitpunkt aus einem Blech zusammen gelöteten und daher mit einer Schwachstelle (Naht) behafteten Röhren deutlich überlegen. Da zum nahtlosen Ziehen von Metallrohren zu dieser Zeit aber nur relativ weiches Metall verwendet werden konnte und zudem Mannesmann das Patent auf die Ent- wicklung besaß, entwickelte Premier sein Helical-Rohr.

Ein Artikel im Polytechnischen Journal, dessen Digitalisierung im Rahmen eines von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts am Institut für Kulturwissenschaften der Humboldt Universität Berlin (und Kooperationspartnern) eine öf- fentliche Zugänglichkeit ermöglicht, beschreibt die Herstellungs- weise der Helicalrohre und zitiert zudem wissenschaftliche Ver- suche zu deren physikalischen Eigenschaften:

 

 

Sehr bemerkenswerth sind die von der Premier Cycle Company in Coventry aus 0,21 bis 0,44 mm starkem Stahlband gewundenen Röhren von 9,5 bis 35 mm Durchmesser, die sogen. helical tubes [...].

 

Nach Engineering, 1895 Bd. 59 * S. 362, werden die genau gewalzten Stahlbänder auf die ermittelte Länge abgeschnitten, die Enden abgeschrägt und über einen genau cylindrischen Stahldorn mittels einer Walzmaschine gewunden. Diese Maschine besteht aus drei wagerecht liegenden Walzen, deren Achsen ein Dreieck bilden und von denen die obere stellbar ist. Nach dem Aufrollen wird der Dorn entfernt und an jedem Ende ein Schlussring aufgeschoben, in den das gewundene lose Bandrohr mittels Kegelpfropfen geklemmt wird.

 

Die Stärke der Windung erfolgt in dem Maasse, dass im mittleren Theil der Rohrlänge zwei, gegen die Enden zu drei Blechlagen auf einander zu liegen kommen. Hierauf wird zwischen die losen Windungen feines körniges Hartloth eingeführt und das Rohr in einem Gasofen bis zum Schmelzpunkt des Hartlothes erhitzt, worauf Arbeiter das heisse Rohr an den Enden anfassen, strecken und dabei derart drehen, dass es die vorgeschriebene Länge und Windungen erhält. Hierdurch wird das Loth, vorausgesetzt dass es gleichmässig im Fluss ist, sich auch gleichartig zwischen die Lagen vertheilen. Nachher werden die Schlussringe und Pfropfen herausgeschlagen und die Rohrenden mit einer Zirkelsäge auf genaues Maass abgeschnitten.

 

Obwohl die ungeschweissten, also die gezogenen Mannesmann-Stahlrohre ein besseres Aussehen besitzen als diese gewundenen Rohre, so erreichen die glatten, gezogenen Rohre kaum die Hälfte der Biegungsfestigkeit, welche jene aus Stahlband gewundenen erreichen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die gezogenen Rohre naturgemäss aus milderem Stahl herstellbar sind, und ferner darin, dass die gewundenen Rohre weit gleichmässiger in der Wandstärke ausfallen und nur vollkommen tadelloses Stahlbandmaterial in Verwendung kommt.“

 

Quelle: Polytechnisches Journal 1895, Band 298, 100-104 (nachzulesen hier)

 

Als Fazit für die aufgeführten Versuchsreihen zur Bestimmung der Zug- und Bie- gefestigkeit von Helicalrohren im Vergleich mit nahtlos gezogenen Mannes- mannrohren wird weiter festgehalten:


...woraus ohne weiteres das harte Stahlbandrohr (Anm.: Helicalrohr) als doppelt so fest wie das gezogene Stahlrohr (Anm.: Mannesmannrohr) angenommen werden kann.“ Ebd.

 

Fahrradrahmen aus Helicalrohren gab es ausschließlich von Premier, keine andere Firma verwendete m.W. dieses Verfahren. Zu aufwändig erscheint die Herstellung und zudem wird – wie schon im ersten Zitat an- gedeutet – die Optik durch die sichtbare Wicklung zumindest beeinträchtigt. Die be- liebte Linierung der Rahmenrohre ist da- durch ebenfalls nur bedingt möglich.

 

Theoretisch wäre durch die Technik des Heli- calrohrs ein wesentlich leichterer Rahmen möglich gewesen, hätte man auf die gleiche Stabilität wie die der gezogenen Rohre ab- gezielt. Zu Versuchszwecken wurde dies zu- erst auch gemacht. Später wählte man bei Premier offensichtlich den Weg, bei annähernd gleichem Gewicht eine höhere Stabilität zu erreichen.

Wann genau man bei Premier die Herstellung dieser aufwändigen Rohre ein- gestellt hat, konnte ich noch nicht eruieren. Ich vermute aber, dass Fahrräder aus Helicalrohren nur bis kurz vor dem ersten Weltkrieg produziert wurden und man dann ebenfalls auf nahtlos gezogenes Material zurückgriff, da nun die Mas- senproduktion von Fahrrädern bzw. deren Vertrieb vor allem vom Preis abhing und die gezogenen Rohre aus immer besserem Material hergestellt werden konnten. Die aufwändige Produktionsweise der Helicalrohre rechnete sich nicht mehr.

Wie dem auch sei, Rahmen aus den charakteristischen Helicalrohren sind heute ziemlich selten. Daher freue ich mich, Ihnen eines dieser besonderen Helical Premier auf meiner Seite vorstellen zu können.

Premier-Werk in Nürnberg
Premier-Werk in Nürnberg

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eine nette Randnotiz der Geschichte nachreich- en, auf die ich im Zuge meiner Nachforsch- ungen gestoßen bin:

In Nürnberg existierte bis in die 1970er Jah- re eine Gaststätte mit dem für einen Gastro-nomiebetrieb durchaus ungewöhnlichen Na- men 'Helical'. Sie vermuten richtig, dass sich diese Gaststätte gegenüber der Fabrik von Premier in Nürnberg befand, genauer in der Fahrradstraße 89. Seinen Namen behielt das Lokal auch nach der Schlies- sung des Werks 1913 und es gab sicher im Laufe der nächsten Dekaden einige verwunderte Fragen ob dieses seltsam anmutenden Namens.