Zu alten Fahrrädern aus der Schweiz im Allgemeinen und den Produkten der Firma Rüegg, Riedikon-Uster, können Sie hier und hier ein wenig nachlesen.
Die Schwalbe aus dem Baujahr 1935 besitze ich nun schon einige Jahre. Durch einen Tausch erworben, ist sie nicht nur eines meiner seltensten Fahrräder, sondern mit Abstand auch das technisch hochwertigste.
Die Güte der Verarbeitung, der Lackierung sowie der Ausstattung liegen auf einem außergewöhnlich hohen Niveau, vergleicht man das mit Rädern derselben Epoche aus Fabriken in Deutschland, England oder Frankreich. Dadurch fährt sich das Rad äußerst weich und geschmeidig, ohne in irgendeiner Weise nervös oder instabil zu wirken. Hinders Vergleich mit einem Mercedes-Automobil des alten Schlags drängt sich daher wirklich auf. Erkauft wird diese spürbare Stabilität allerdings mit einem überdurchschnittlich hohen Gewicht des Fahrrads: knapp 20 kg sind wahrlich kein Pappenstiel. In den hügeligen oder gar bergigen Regionen der Schweiz wird man daher dankbar für die montierte Dreigang-Torpedo der Firma Fichtel & Sachs gewesen sein.
Der Vorvorbesitzer der Schwalbe kaufte sie nach meinen Informationen nur aufgrund der 1935er-Dreigang-Torpedo, die er für ein an- deres Projekt benötigte, und baute diese aus. Ich bekam das Rad dann mit einer ein- fachen Torpedonabe von 1935 und es dauer- te geraume Zeit, bis ich eine passend Drei- gang von '35 fand. Die Geduld lohnte sich, denn die nun verbaute Schaltnabe ist nahe- zu neuwertig, wie sich bei der routine-mäßigen Wartung vor dem Einspeichen her- ausstellte. Nur der Schalter stammt aus dem Jahr 1953. Aber kommt Zeit, kommt Schalter...
Das Fahrrad befindet sich m. E. – bis auf die ersetzte Nabe – im Original- bzw. Auslieferungszustand. Einzig die Griffe und Reifen mussten erneuert werden, wie meistens bei diesen stark der Alterung und dem Verschleiß unterworfenen Teilen.
Die zeitgerechte Lichtanlage von Lucifer (Dynamo und Lampe) bzw. Phoebus (Stre-benrücklicht) habe ich aus meinem Fundus ergänzt, um bei einer Kontrolle wenigstens ein wenig guten Willen zu zeigen, wenn ich mich bei Fahrrad-Oldtimern schon den un- zähligen Reflektoren verweigere, die heut- zutage Pflicht sind. Auch die lederne Rah- mentasche für das Flickzeug sowie eine alte Schweizer Luftpumpe stammen aus mei- nem Teileregal. Die Klingel eines Fahrrad-händlers aus Aarau ist gerade zu mir unter- wegs, auf den Fotos ist noch eine französische Händlerglocke montiert – wegen der Verkehrssicherheit, Sie verstehen...
Zur Technik:
Der Rahmen besitzt kräftige Muffen, wahr- scheinlich aus der eigenen Gießerei Rüeggs. Der Durchmesser der Rohre fällt geringer aus als beim Militärrad,
trotzdem wirkt alles un- glaublich stabil.
Die offenbar mehrschichtige Lackierung wur- de damals hochglanzpoliert und besitzt eine rote Rostschutzgrundierung darunter, wahr- scheinlich Bleimennige
(auf manchen Fotos als roter Untergrund sichtbar).
Der Lenker weist einen Durchmesser von 25 mm auf, wie bei den Militärvelos. Angetrieben wird das Rad durch eine Transportrad- bzw. Mofakette (1/2" x 3/16"),
entsprechend kräftig gestaltet sich das Kettenblatt. Die wulstbereiften Räder be- sitzen einen Durchmesser von 28 Zoll und sind mit einem schönen Mittelband in Holzdekor verziert. Die montierten
Reifen stammen ebenfalls aus der Schweiz, Maloya Bull Cord in der Größe 28“ x 1 1/2“.
Hinten sitzt wie geschrieben die Torpedo Dreigang von 1935, vorne wird mit einer englischen Trommelbremsnabe von Perry (Modell Mark III) verzögert. Die
Bremse funk- tioniert für eine Trommelbremse sogar sehr gut und ist satt und gefühlvoll zu bedienen.
Ausgestattet ist die Schwalbe weiterhin mit einem Sattel von Wittkop. Das Kuriose da- ran ist, dass Wittkop, eigentlich in Bielefeld beheimatet, auf dem
Sattel die Prägung 'Wittkop Beckenried' angebracht hat. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass wahrscheinlich irgendwelche Einfuhr- oder Zollvorschriften Wittkop dazu zwangen, in der Schweiz
eine Dependance zu eröffnen. Beckenried liegt näm- lich im Kanton Niedwalden am Vierwaldstättersee. Einen so geprägten Wittkop-Sattel habe ich danach nie wieder gesehen.
Die Lichtanlage stammt wie angemerkt von Lucifer bzw. Phoebus, beides Schweizer Firmen. Der Dynamo, eine 12-polige(!) Kon- struktion, ist das Beste, was ich an alten Dy- namos kenne. Er erzeugt kaum Widerstand (läuft beim Drehen mit der Hand nach!), fast kein Geräusch und bringt bereits bei nie- drigen Drehzahlen schon satte Leistung.
Fazit:
Auch wenn mir der 55 cm-Rahmen bei meinen langen Beinen wie üblich zu klein ist, fahre ich die Schwalbe doch sehr gerne, denn das Fahrgefühl ist wirk- lich bemerkenswert sicher und souverän. Dabei muss ich dann immer an Jakob Rüeggs Worte denken: "Wir müssen stabile, gute Velos herstellen, damit keine Unfälle passieren." Und das hat er wahrlich konsequent umgesetzt.