Zur Fahrradproduktion der Firma Rüegg in Riedikon-Uster

Wie bereits andernorts vermerkt, ist es allgemein schwer, Informationen zu zivil- en Produkten Schweizer Fahrradproduzenten zu finden, noch dazu wenn es sich um entsprechend alte Fahrräder handelt.

 

Für die Zulieferung der Armeeräder an die Schweizer Streitkräfte waren vor dem 2. Weltkrieg hauptsächlich die Firmen Condor, Cosmos und auch Schwalbe zuständig. Zumindest die Namen dieser Firmen sagten mir etwas, auch wenn die Ordonnanzräder für mich fast gleich aussahen und sich nur aufgrund ihrer individuellen Kettenblätter unterscheiden ließen. Aus diesem Grund wusste ich auch nicht was auf mich zukam, als mir ein Freund im Tausch gegen ein fran- zösisches Automoto-Sportrad eine Schwalbe aus Uster anbot. Ich fand das Fahr- rad interessant und so nahm ich es in meine kleine Sammlung auf.

Werbeplakat der Firma Rüegg in Riedikon-Uster, um 1900*
Werbeplakat der Firma Rüegg in Riedikon-Uster, um 1900*

Wie üblich versuchte ich zuerst an Informa-tionen zum Hersteller zu kommen, laut Lenk- kopfschild die Firma Jakob Rüegg in Uster. Nach langer und bis dato ergebnisloser Re- cherche fand ich einen kurzen Artikel von Eugen Hinder aus dem Oktober 2005, der als PDF auf einer Seite (www.zueri-news.ch/ turicaphone.htm) zur Verfügung gestellt wur- de, die heute leider nicht mehr online ist. Ich erlaube mir daher, seine Ausführungen an dieser Stelle in Auszügen zu zitieren:

 

"Ein SCHWALBE-Velo galt früher wie ein Mercedes bei den Autos: Das Beste vom Besten. Fabriziert wurden diese Velos in Riedikon, in den Gebäuden der heutigen Turicaphon AG.

 

1893 gründete Jakob Rüegg in Riedikon eine Fahrradfabrik. Die Firma benannte er nüchtern nach seinem Namen, Rüegg. Das Produkt erhielt den Namen Schwalbe.

 

Der Begriff „Fahrrad-Werke“ und das geräumige Fabrikareal lassen auf eine gewisse Betriebsgrösse schliessen: Rüegg hat sicher nicht als kleiner Gewerbebetrieb mit zwei, drei Angestellten angefangen. Angaben über die Zahl der produzierten Velos oder die Anzahl der Angestellten sind jedoch nicht bekannt. Überhaupt sind die Quellen über die Schwalbe-Velos äusserst dürftig. Dies betrifft die gesamte Firmengeschichte. Wer war Jakob Rüegg? Weshalb wurde der Name „Schwalbe“ gewählt? (…)

Werbeanzeige der Firma Rüegg in Riedikon-Uster, um 1905**
Werbeanzeige der Firma Rüegg in Riedikon-Uster, um 1905**

Die Fabrik lief offenbar gut. Denn bereits 1899, also sechs Jahre nach dem Start, erweiterte Jakob Rüegg die Fabrikräumlichkeiten. Der Name des Unternehmens wurde in Gebrüder Rüegg umgewandelt. Gemäss der Zeitzeugin Martha Sennhauser war das irgendwann in den 1910er Jahren und es handelte sich um einen einzigen Bruder, der dann früh verstorben ist.

 

Die Firma florierte weiter: 1913 wurde ein riesiger Neubau an der Brunnenstrasse in Uster erstellt. Es handelt sich um das Milchverbandsgebäude, benannt nach dem späteren Besitzer, heute offiziell Atria-Gebäude geheissen. Dieser Standort wurde wegen des direkten Bahn- anschlusses gewählt. Die Grösse des Gebäude-komplexes lässt eine gewaltige Produktion ver- muten.

 

Unklar ist, bis wann in Riedikon Velos produziert worden sind. Bis zur Standortverlegung nach Uster im Jahre 1913? Fritz Meister be- richtet, dass „nach den Rüeggs“ Josef Folzer, ein elsässischer Chemiker, in der Fabrik Kunstseide und Kunstleder produziert hat, nennt aber keine Jahreszahl. Der Fabrik-weiher habe zu jener Zeit immer noch bestanden und als Riediker Kinder durften sie im Winter darauf Schlittschuh laufen. Josef Folzer sei mit seinen Kunststoffen der Zeit vor- aus und deshalb wenig erfolgreich gewesen, da das Volk dem neuen Produkt gegenüber sehr skeptisch eingestellt war.

 

Im Februar 1934 kaufte dann Maurice A. Rosengarten das leer stehende Fabrikgebäude und presste hier seine „Edison Bell Radio“-Platten. Übrigens: Das Fabrikgebäude wurde ursprünglich als Textilfabrik erstellt, der älteste Teil 1840, die Erweiterung 1860.

 

Mit dem Umzug nach Uster wurde die Velo-Produktion auf „verschiedenartige Maschi- nen“ ausgedehnt und zudem, so Fritz Meister, auch eine Giesserei betrieben. Angaben darüber, welche Art von Maschinen fabriziert worden sind, existieren nicht. Für die nächsten 25 Jahre ist über die Firmengeschichte fast nichts bekannt. Martha Sennhauser, die von 1932 bis 1935 ihre kaufmännische Lehre im Betrieb gemacht hat, erinnert sich mit grossem Respekt an ihren Patron, „Vater Rüegg“: „Der konnte was, der war nicht dumm!“ Zu jener Zeit seien für die Fahrradfabrik, alles in allem, also Pro- duktion und Administration, vielleicht etwa 40 bis 50 Personen tätig gewesen. Auch die drei Söhne und die Tochter von Jakob Rüegg hätten im Betrieb mitgearbeitet. Die Tochter habe für den Bereich Fahrradfabrik die Buchhaltung gemacht.

Prospekt der Firma Rüegg/Uster, 1930er Jahre
Prospekt der Firma Rüegg/Uster, 1930er Jahre

1938 wurde die Firma wegen „eintretender Schwierigkeiten“ in die Aktiengesellschaft „Ma- schinenfabrik und Fahrradwerke AG, Uster, vorm. Jakob Rüegg“ umgewandelt. Das heisst, die Firma ist saniert und umstrukturiert worden. Ob Jakob Rüegg seit dem Tod seines Bruders und bis zu diesem Zeitpunkt Alleinbesitzer der Firma war, ist nicht bekannt. Offensichtlich war er nicht einmal der Mehrheitsbesitzer. „Vormals Jakob Rüegg“ wurde vermutlich belassen, damit die Kunden die Firma noch identifizieren konnten.

 

Die neue AG konzentrierte sich fortan wieder auf ihr Kerngeschäft, den Fahrradbau. Dies war mög- lich, weil dieser Geschäftszweig nach einem da- maligen Zeugnis „nun wieder seit Jahren blüht“. Pro Jahr wurden etwa 3000 Velos produziert. Die Firma war gemäss Martha Sennhauser „immer ein Grosslieferant des Militärs“, konnte also für den Bund Militärvelos für die Radfahrertruppen liefern und damit den Umsatz sogar in den Kriegsjahren aufrecht erhalten, wenigstens einigermassen. Dies dank Jakob Rüeggs Unternehmensphilosophie: „Wir müssen stabile, gute Velos herstellen, damit keine Unfälle passieren.“, also qualitativ hochwertige, solide und ro- buste Velos. Dies aber war klar nachteilig für die Sparte der Rennvelos, die ebenfalls gefragt waren und auf Wunsch auch produziert wurden. Jakob Rüegg habe aber den Rennfahrern den Wunsch nach immer noch leichterem Material abgeschlagen mit der Begründung/Befürchtung, dass es zu Unfällen komme. Er verlor die Radsportler als Kunden, so auch Paul Egli aus Dürnten, der 1933 als erster Schweizer Rad-Weltmeister wurde.

 

1948, also nach insgesamt 55 Jahren in Riedikon und Uster, verlegte die Firma den Standort nach Bad Ragaz. Als Grund gab das Unternehmen an, dass der Milchverband als neuer Eigentümer des Fabrikgebäudes, Eigenbedarf angemeldet habe. Der „Anzeiger von Uster“ kritisierte deswegen am 3. April 1948 die lokalen Behörden: „Es ist bedauerlich, dass es nicht gelang, für das obdachlos gewordene Unternehmen, das durch seine für ihre Qualität berühmten Schwalbe-Fahrräder den Namen Uster in der ganzen Schweiz bekannt gemacht hat, in unserer Gemeinde eine neue Heimstätte zu finden.“

Es bestehen ernsthafte Zweifel, ob diese Kritik an die richtige Adresse gerichtet war und ob der angegebene Grund der wahre war. Warum verkaufte die Firma 1941 ihre Fa- brikationsräumlichkeiten, in denen sie weiterhin produzierte? Für Fritz Meister besteht kein Zweifel, dass die Firma in der Krisenzeit zu wenig Aufträge erhalten hat und deshalb vom Milchverband aufgekauft worden ist. Warum wurde die neue Produk-tionsstätte so weit weg, an einen untypischen Industriestandort in einer Randregion ver- legt? Zu vermuten ist, dass die Löhne in Bad Ragaz tiefer waren als im Kanton Zürich. Bemerkenswert ist, dass laut Anzeiger von Uster „etwa ein Viertel der Belegschaft“ den Umzug mitgemacht hat.

 

Quellen

 

Kuhn, Beat (©2001). Schwalbe mit Rädern und Speichen: Von 1893 bis 1948 stellte die Firma Rüegg erst in Riedikon, dann in Uster Velos der Marke Schwalbe her. Anzeiger von Uster, 6. August, S. 13.

 

Kuhn, Beat (©2001). In der Ustermer „Schwalbe“-Velofabrik die Lehre gemacht: Erinnerungen der 84-jährigen Martha Sennhauser an die frühen 30er Jahre. Anzeiger von Uster, 10. August, S. 9.

 

Meister, Fritz (©1982). Riedikon – gestern und vorgestern. Eigenverlag."

 

Katalog Rüegg/Uster, Ende 1920er Jahre***
Katalog Rüegg/Uster, Ende 1920er Jahre***

Aus einer weiteren Quelle stammt diese zu- sätzliche Information zur Firma Rüegg:

 

'1948 verlegte die Firma den Standort nach Bad Ragaz. Bereits 1952 musste das Unternehmen seine Produktion einstellen.

Ab 1946 übernahm die Firma Zesar die ehe- malige Schwalbe-Fahrräderproduktion und lie- ferte noch ein paar Jahre auch an das Schweizer Militär'. Quelle

 

Anm.: Dazu muss man wissen, dass die Fir- ma Rüegg außer Fahrrädern auch landwirt-schaftliche Geräte und Maschinen herstellte.

 

Quellenverweise der Abbildungen:

*   Quelle

**  Quelle

*** Quelle