Allas Luquetas, Guéret

Ein typisches Bausatz-Fahrrad aus der Zeit um 1900

Bausatz-Fahrrad von Jules Allas Luquetas, Fundzu- stand
Bausatz-Fahrrad von Jules Allas Luquetas, Fundzu- stand

Das Rad habe ich vor einigen Jahren von einem Sammlerkollegen einge-tauscht. Seither lag es zerlegt in der Werkstatt.

 

Das Allas Luquetas war in wichtigen Teilen, bis auf den Laufradsatz aus einem 20er Jahre-Rennrad mit Wen- denabe (FlipFlop-Nabe), der falschen Kette und dem unpassenden Sattel recht original erhalten. Die Gabel war durch einen Aufprall leicht verzogen.

 

Ein Vorbesitzer hat es allerdings 'restauriert', indem er den Rahmen schwarz und die ursprünglich vernickelten Teile silberfarben lackierte. Zum Glück ging die Farbe mit einer Azeton-Kur "relativ" leicht ab. Unter dem schwarzen Lack kam eine zweite Schicht von schwarzem Lack zum Vorschein, wahrscheinlich ebenfalls eine Renovierung. Den habe ich aber belassen, weil ich darunter das blanke Metall vermute und es zudem so ganz gut aussieht. Dass das Rad auch ursprünglich schwarz war, darf man mit höchster Wahrscheinlichkeit annehmen.

Allas Luquetas um 1900, Lenkkopfschild
Allas Luquetas um 1900, Lenkkopfschild

Der Hersteller des Fahrrads wird im Schild als Allas Luquetas aus Guéret im Departement Creuse ausgewiesen.

Guéret liegt im Limousin, einer herrlichen Landschaft nordwestlich des Zentralmassivs, einer Partnerregion von Mittelfranken in Bayern. Das Städtchen Guéret zählt heute ca. 13T Einwohner, vor einhundert Jahren waren das bestenfalls einige Tausend. Tiefste Pro- vinz, würde der Franzose sagen.

 

 Zuerst konnte ich über den Herstellernamen Allas Luquetas rein gar nichts herausfinden, außer dass er vermutlich seine Wurzeln im Okzitanischen hat (s. Exkurs 1 unten). Auch findet sich kein zweites Fahrrad dieser Marke. Ich setzte die Recherche sporadisch fort und das Glück half dem Hartnäckigen: Drei Jahre später gab es endlich einen Eintrag in geneanet.org für den Namen Allas Luquetas. Und siehe da, es war gleich der Gesuchte!

 

Jules Allas Luquetas wurde 1871 im 4. Pariser Arrondissement in der Nähe der Kathedrale von Notre Dame geboren. Er übersiedelte später nach Guéret, wo er am 17. Februar 1896 Marie Louise Villatte heiratete und mit ihr drei Töchter hatte. Von Beruf war Jules Allas Luquetas Garagiste, was auf Deutsch den Betreiber einer Mechanikerwerkstatt bezeichnet. Er starb 1957 im Hohen Alter von 85 Jahren in Guéret.

 

Es ist aufgrund des Namens Allas Luquetas anzunehmen, dass bereits die Vor- fahren von Jules aus einer Gegend stammten, in der das Okzitanische gespro- chen wird bzw. wurde. Möglicherweise sogar aus der Gegend um Guéret, in die dann Jules als junger Mann zurückkehrte.

 

Seinen Unterhalt wird Jules Allas Luquetas wohl mit der Reparatur von Fuhr- werken, landwirtschaftlichen Geräten, Maschinen und eben auch Fahrrädern verdient haben. Nebenbei bauten diese kleinen Werkstätten auch mal ein Fahrrad auf Kundenwunsch aus zugekauften Rahmenbausätzen, die zur Zeit der Jahrhundertwende von zumeist amerikanischen und englischen Herstellern angeboten wurden. Dass Jules Allas Luquetas keine großen Stückzahlen an Fahrrädern produzierte, ist anzunehmen. Allerdings ließ er sich zumindest ein Lenkkopfschild anfertigen. Da die individuelle Beschriftung bei diesem Schild noch beim Hersteller handgefertigt wurde ist davon auszugehen, dass die bestellte Menge wohl sehr klein war. Bei höheren Stückzahlen wurde regelhaft eine Pressform angefertigt oder es wurde geätzt (vgl. Moret). Zu dieser Annahme passt auch die niedrige Seriennummer 14, die sich auf der Gabel fand.

Allas Luquetas, um 1900 - sog. "Three Lug Bracket"
Allas Luquetas, um 1900 - sog. "Three Lug Bracket"

Beim Rahmen fällt sofort die außer-gewöhnliche Dimensionierung der Rohre auf. Sattel- und Unterrohr be- sitzen immerhin gut 30 mm Durch-messer, das Oberrohr 28 mm. Auch die ovalen Hinterbaustreben sowie die Gabelscheiden sind sehr kräftig ausgeführt. Die hintere untere Gabel mündet mit einem einzigen dicken Rohr in der Tretlagermuffe (Neu- deutsch 'Monostay'). Einzig das Steu- errohr kommt relativ zierlich daher. Alle Verbindungen sind in Außenmuffen ver- lötet.

 

Die Muffen stellte Luquetas sicher nicht selbst her. Woher er sie bezog konnte ich noch nicht verorten, allerdings waren auch solche Details wie die Tret- lagermuffe mit Monostay (engl. 'three lug bracket') damals keineswegs unüblich. Ich gehe vorerst von einem Bausatz aus den USA aus.

 

Der Rahmen zeigt an den Lötstellen deutliche Bearbeitungsspuren einer Feile. Dies und einige andere Details lassen darauf schließen, dass der Rahmen nicht in einer Fabrik, sondern in einer kleinen Werkstatt zusammengefügt wurde, in der man sämtliche Arbeiten noch von Hand erledigte und das Ergebnis daher nicht so perfekt geriet wie an einer Maschine. Dazu kommt noch, dass der Rahmen keine Markierungen wie eine Rahmennummer o.ä. trägt. Einzig auf der Rückseite des hufeisenförmigen Gabelkopfs findet sich die eingeschlagene Zahl 14. Das könnte angesichts des Herstellers tatsächlich die Seriennummer sein, zumal man in der Regel Gabeln als das empfindlichste Rahmenteil, Lenker-schäfte und teilweise sogar Kettenblätter bis ca. 1900 aus Gründen der Gewähr-leistung ebenfalls mit der Seriennummer versah.

 

Die Geometrie des Rahmens erscheint typisch für Räder kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende bzw. um 1900. Ein relativ hoher Rahmen (hier gut 60 cm) in Verbindung mit einem sehr kurzen Oberrohr (hier 56 cm) zwingt den Fahrer zu einer aufrechten Sitzhaltung. Die zurückgebogenen Lenker ohne Vorbau taten ein Übriges dazu. Die Hände befinden sich beim Fahren meist neben oder sogar hinter den Knien. Dieser Lenker kommt zudem in einer zeitlich typischen, sehr schmalen Ausführung daher (hier nur ca. 41 cm Mitte Griffende), was das Fahren für heutige Gewohnheiten nicht unbedingt bequemer und enge Kurven zu einer interessanten Angelegenheit macht.

 

Das große Kettenblatt in 1“-Teilung ist sehr stark und benötigt eine Kette mit gut 5 mm Innenbreite. Zollketten mit 4 mm oder gar nur 3 mm Breite, wie sie nach der Jahrhundertwende bei französischen Rädern in Verwendung waren, passen nicht.

 

Die schlanken Kurbeln zeigen einen ovalen Querschnitt. Das etwas instabile rechte Blechpedal amerikanischer Form schien original zu sein. Es wurde aber ein stabiler Satz ähnlicher Pedale französischer Provenienz von mir ergänzt, um das Rad fahrbar zu machen.

Mikado-Nabe von Husqvarna. Anzeige um 1920
Mikado-Nabe von Husqvarna. Anzeige um 1920

Den Laufradsatz habe ich zwangs-läufig nachrüsten müssen und er ist gut zehn Jahre jünger als der Rah- men. Passend zum kräftigen Rah- men habe ich mich für breite Chapeau Gendarme-Felgen (West-woodfelgen) mit einer Rücktrittnabe von Husqvarna bzw. deren franzö-sischem Lizenzbau entschieden (s. Exkurs 2 unten). Ursprünglich kam das Allas Luquetas wohl mit einer starren Nabe und ohne Bremse zum Kunden.

Mikado-Nabe von Husqvarna. Anzeige Vinzenz Ettrich, Wien, 1913/14
Mikado-Nabe von Husqvarna. Anzeige Vinzenz Ettrich, Wien, 1913/14

Als ich das Rad bekam, war am Gabelkopf eine Stempelbremse für Bowdenzug montiert, für die man einseitig ein Gewinde in den Kopf geschnitten hatte. Da die Bohrung schon deutlich patiniert ist, wird die Bremse vielleicht im Zuge einer Um- rüstung auf Freilauf angebracht wor- den sein.

 

Das Fahrrad sieht heute wieder an- nähernd so aus wie zur Erbauungs- zeit, da ich mich auf die (unscheinbare) hintere Bremsnabe beschränkt habe.

Ergänzt habe ich neben dem Laufradsatz mit passenden Reifen noch einen zeit- gemäßen Sattel in amerikanischer Form, die um die vorletzte Jahrhundertwen- de sehr beliebt war und sich allenthalben in den Zubehörkatalogen - nicht nur den französischen - fand. Ebenfalls nachträglich montiert wurde die zeitgerechte Klingel von New Departure, Bristol, Connecticut, einem damals stark auf dem europäischen Markt vertretener Hersteller von Klingeln (für Fahrräder, aber auch für Hotels und Haushalte) und später auch Fahrradnaben und Lager für Maschi- nen aller Art.

Klingel von New Departure
Klingel von New Departure

Aufgrund der Dimensionierung des Rahmens, seiner Geometrie, der Außenmuffung, des starken Ketten- blatts und nicht zuletzt wegen der doch sehr ungewöhnlichen Maße (z.B. Lenkerbügel 24,irgendwas mm, Lenkerschaft 21 mm usw.) gehe ich von einer Bauzeit um 1900 aus. Zu- mindest passen in diese Phase die meisten Details des Rades; umge- kehrt passen die wenigsten in die fortgeschrittenen 00er Jahre des 20. Jahrhunderts. Da sahen zumindest fran- zösische Fahrräder schon ganz anders aus.

 

Das Allas Luquetas fährt sehr gut, es läuft leicht, ist äußerst robust und wiegt trotz des kräftig dimensionierten Rahmens erstaunlich wenig. Man muss sich allerdings erst mit der für heutige Verhältnisse ungewöhnlichen Sitzhaltung anfreunden und eine spezielle Kurventechnik entwickeln, damit man keinen Salat aus Armen, Beinen und Lenker und daraus folgend einen unfreiwilligen Abgang produziert.

Exkurs 1 - Okzitanisch

 

Betrachtet man das wunderschöne Lenkkopfschild, fällt Folgendes auf: Es han- delt sich um ein Blankoschild, das Kleinsthersteller oder reine Händler kaufen und ihre Namen darauf anbringen lassen konnten. So auch hier: der Her- stellername nebst -ort wurde mittels Schlagbuchstaben einigermaßen pro- fessionell angebracht. Beim zweiten Blick fällt auf, dass der Name der Stadt Guèret geschrieben ist. Korrekt muss es aber Guéret heißen.

 

Im Limousin wurde noch lange ins 20. Jahrhundert hinein gerade von der Land- bevölkerung häufig Okzitanisch gesprochen, eine galloromanische Sprache. Im Okzitanischen gibt es aber m.W. keinen Accent aigu (´), dafür aber viele Accent grave (`). War also des Meisters Umgangssprache Okzitanisch, liegt möglicher- weise darin die Erklärung für den Fehler bei Guèret – und eventuell auch für den ausgefallenen Namen Allas Luquetas (z.B. bedeutet 'Aluqueta' auf Okzi- tanisch Streichholz).

Mikado-Nabe von Husqvarna. Als Vergleich der Brems-mantel einer Torpedo-Nabe (unten)
Mikado-Nabe von Husqvarna. Als Vergleich der Brems-mantel einer Torpedo-Nabe (unten)

Exkurs 2 - Husqvarna

 

Die verbaute Bremsnabe ist ein fran- zösischer Lizenzbau einer Husqvarna- Nabe. Diese sehr kräftig dimensio-nierten Rücktrittnaben wurden in Frankreich von Louis Valat, einem Großhändler, unter dem Namen 'Mi- kado' vertrieben. Auch in anderen Ländern wurde die Mikado/Husq- varna seit Beginn der 1910er Jahre verkauft, so z.B. in Österreich durch den Großhändler Vinzenz Ettrich in Wien.

 

Husqvarna (mit den aufgekauften Firmen Gardena, McCulloch u.a.) gibt es heute noch und ist vor allem in der Sparte Nähmaschinen, Gartengeräte und Ketten- sägen sehr erfolgreich am Markt vertreten. Außerdem werden einige noch die sehr guten Gelände-Motorräder dieser Firma kennen. Husqvarna baute aber auch Fahrräder und Fahrradteile und blickt zudem auf eine unglaublich lange Firmengeschichte zurück. Bereits 1689(!) wurden Musketen hergestellt.