Französisches Rennrad um 1910

Zu schade für den Container - Ein wiederbelebter Rahmen

Vor etlichen Jahren kaufte ich mit einem anderen Sportrad zusammen auch ein Rennrad französischer Provenienz. In Bayern würde man sagen, es handelte sich um einen klassischen Wolpertinger: Ein aus Teilen zusammengestelltes Fahrrad, die weder stilistisch noch zeitlich zueinander passten. Zudem war der Rahmen in einem leuchtenden Gelb lackiert und mit dicken hellblauen und grünen Linien 'verziert', denen man ansah, dass sich der Hobby-Linierer vorher offensichtlich Mut angedrunken hatte.

Schöne Details: Rennradrahmen um 1910, Sattelstreben
Schöne Details: Rennradrahmen um 1910, Sattelstreben

Die verwendeten Teile waren nicht schlecht (z. B. Rennlenker der 1920er Jahre, Holzfelgen der 1940er/50er Jahre, ein Kettenblatt der 50er Jahre, Pedale der 70er, usw.), nur passten sie so überhaupt nicht zum Alter des Rahmens. Daher diente das Rad aus dem Wolpertinger-Rennstall im Laufe der Jahre als Ersatzteillager, so dass irgendwann nur noch das postgelbe Rahmenset übrig blieb (bei dem selbst die Gabel wahrscheinlich ein Fremd-teil ist, wenn auch zeitlich nicht ganz verkehrt). Das fristete dann noch ge-raume Zeit sein klägliches Dasein in irgendeiner Ecke des Lagers, bis ich mich dazu durchringen konnte, es von seiner hässlichen Hülle zu befreien.

"Restaurierter" Rennradrahmen um 1910
"Restaurierter" Rennradrahmen um 1910

Unter dem dick aufgesprühten gel-ben Lack fand sich ein grauer Füller, der mehr recht als schlecht die Rostnarben ausglich. Darunter war leider kein originaler Lack mehr erhalten, evtl. wurde der Rahmen sogar vor dem Wiederaufbau sand-gestrahlt.

 

Nichtsdestotrotz offenbarte sich ein veritabler Rennrahmen, zusammen-gesetzt aus Rohren und Muffen, wie sie für die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jh. typisch waren. Angelehnt an die berühmten Produkte der Firma B.S.A. aus Birmingham in England, boten auch einige Her-steller aus den Vereinigten Staaten solche, oder ganz ähnlich Muffen-sätze und komplette Rahmensets an. Welchem Hersteller dieses Set zugeschrieben werden kann, konnte ich leider noch nicht sicher feststellen. Sicher ist nur, dass der Rahmen aus Frankreich stammt.

Die Löcher des ursprünglichen Lenkkopfschildes verlöteten die Künstler. Als Krönung heftete man dem ohnehin gequälten Rahmen später noch ein Schild der Marke 'Ostmark Garantie-Rad' aus den 1930er Jahren mittels zweier Pop-niete an.

Rennradrahmen um 1910, Muffen nach B.S.A.-Art
Rennradrahmen um 1910, Muffen nach B.S.A.-Art

Wohl wissend, dass dieser Rennrad-rahmen wahrscheinlich nie einem be-stimmten Hersteller zuzuordnen sein wird, entschloss ich mich, ihn zumin-dest stil- und zeitgerecht zu einem kompletten Fahrrad aufzubauen. Zu schön sind die Details, zu gut die Qualität, um den Rahmen dem Alt-eisencontainer zu übereignen.

 

Nach einer kompletten Entlackung offenbarte der Rahmen an manchen Stellen sichtbare Rostnarben und eine kleine, unbedeutende Delle in einer der Sitzstreben. Ansonsten zeigt er sich unbeschädigt und sehr stabil, mit einem Maß von 55 cm.

Entlackter Rahmen
Entlackter Rahmen

Der Wideraufbau eines solitären Rahmens selbst dieses Alters lohnt in den meisten Fällen nicht. Man muss mühsam die Teile zusammensuchen und noch dazu sehr viel Geld aus-geben, da Fahrradteile aus dem Be-ginn des 20. Jh. heute nicht mehr an jeder Ecke zu bekommen sind und im Preis enorm angezogen haben. Ein originales Rad eines bestimmten Her-stellers wird es dennoch nicht wer-den, allerhöchstens ein authentisches aufgebautes Stück der Zeit.

Die damals beliebten Rahmenbau-sätze wie dieser hier haben dabei wenigstens den Vorteil, dass sie in der Regel nach englischen Normen gefertigt sind. Das bedeutet, dass zu-mindest Gewindemaße, Tretlagebrei-ten u. a. keine exotischen Größen darstellen und meist kompatibel sind. Das erleichtert die Teilesuche wenigstens ein bisschen.

 

Ich konnte zum Glück auf mein Lager zugreifen und musste daher kaum Teile beschaffen, sonst hätte ich mir das wahrscheinlich nicht angetan.

Torpedo-Bremsnabe aus den 1910er Jahren
Torpedo-Bremsnabe aus den 1910er Jahren

Nach der Entlackung des Rahmens und der Gabel habe ich die Rohre geschwärzt, ohne neu zu lackieren. Eine Neulackierung hätte auch die Behandlung aller anderen Teile bedingt, damit es ein einheitliches Bild ergibt.

 

Als Laufräder fungieren alte Holz-felgen für Drahtbereifung. Hinten ist eine Torpedonabe aus den 1910er Jahren eingespeicht, die in Frankreich als Zubehör durchaus üblich war und sogar von manchen Herstellern auf Wunsch direkt verbaut wurde (z. B. bei Peugeot).

Vorne werkelt eine Mittelzugbremse - eines der unzähligen Designs, die damals in den Katalogen angeboten wurden.

 

Das Kettenblatt entspricht einer damals weit verbreiteten Form und besticht vor allem in dieser Ausführung durch seine filigranen Streben. Als Pedale habe ich die für Rennräder üblichen französischen Rat Trap-Modelle gewählt; eine gängiges, stabiles und trotzdem leichtes Pedal.

Mittels Zentralmutter verstellbarer Rennlenker von Kelly, USA
Mittels Zentralmutter verstellbarer Rennlenker von Kelly, USA

Der verwendete Lenker stammt von Kelly, ein heute zwar sehr seltener (und unglaublich teurer), damals aber üblicher Sport- bzw. Rennlenker, der sich durch die Zentralmutter in vielen Positionen einstellen lässt.

 

Die schmalen 28er-Rennreifen stam-men von Wolber und Michelin, sind aber nurmehr sehr bedingt fahrbar. Ein schmaler Rennsattel rundet das Bild ab.

Nachträglich appliziertes Schild des Herstellers Bonnivard, Paris
Nachträglich appliziertes Schild des Herstellers Bonnivard, Paris

Zur Komplettierung, und weil der Rahmen sowieso keinem Hersteller zugeordnet werden kann, wurde noch ein Lenkkopfschild der Zeit um 1910 verbaut: Cycles Bonnivard, Paris. Einer der unzähligen kleinen Hersteller, für die eben diese Teile und Bausätze angeboten wurden, aus denen dieser Rahmen besteht.

 

Abgesehen vom Hersteller könnte ein solcher Rahmen durchaus so gefahren worden sein, wie er heute wieder dasteht. Daher darf man durchaus von einem zeitlich authen-tischen Fahrrad sprechen, wenn auch nicht von einem originalen Produkt eines Herstellers XY.

 

Das Rennrad wiegt wie auf den Fotos keine 11 kg. Wie es sich fährt weiß ich nicht, weil ich nur eine ganz kurze Strecke zurückgelegt habe, um keinen Reifendefekt zu provozieren. Besonders bequem ist aber nach meinem Geschmack kein Rennrad, so auch dieses nicht.